Kein Sinn im Leben
Seit circa 4 Monaten lebe ich in Amerika. Ich bin hier für eineinhalb Jahre in einem Arbeitsprogramm, das ist auch ein bisschen als Selbsttherapie für mich gedacht.
Susann, 21, weiblich schreibt:
Kein Sinn im Leben
Seit circa 4 Monaten lebe ich in Amerika. Ich bin hier für eineinhalb Jahre in einem Arbeitsprogramm, das ist auch ein bisschen als Selbsttherapie für mich gedacht.
Ich bin ein sehr ruhiger Mensch und schüchtern, vor allem was Männer angeht.
Ich muss dazu sagen, dass ich als Kind von meinem Vater fast täglich verprügelt wurde.
Nun hab ich aber das Problem, dass ich glaube dass die ganze Sache voll nach hinten losgegangen ist.
Es fällt mir total schwer Leute kennenzulernen, mit den Arbeitskollegen habe ich nur wenig gemeinsam. Und auch hier: Während ich mich mit Frauen schonmal unterhalten kann, kriege ich Männern gegenüber nicht den Mund auf.
Ich habe irgendwie Angst vor Männern, ich hatte auch noch nie einen Freund – Männer verbinde ich irgendwie nur mit Gewalt.
Für mich ist das auf jeden Fall so schlimm, dass ich mich selber hasse. Ich habe schon Ess-Brech-Sucht, kann kaum schlafen seit einiger Zeit habe ich begonnen mich selbst zu ritzen.
Mein Leben ist total sinnlos und ich muss gestehen auch an Selbstmord habe ich schon gedacht, aber nicht so wirklich ernsthaft glaube ich.
Meine Familie ist weit weg in Deutschland und echte Freunde habe ich weder hier noch dort.
Ich fühle mich wie der totale Versager, nichts krieg ich auf die Reihe und ich würde sicher auch niemandem fehlen.
Soll ich zurück nach Deutschland gehen?
Susann, 21 Jahre, weiblich
Liebe Susann,
egal wo du hingehst, du kannst nicht vor dir selbst davon laufen.
Liebe Susann,
einiges von dem was du schreibst kommt mir sehr bekannt vor.
Ich bin mit 21 auch für ein Jahr nach Amerika gegangen, nämlich als Au-Pair. Und ja, auch mein Leben sollte dadurch besser werden.
Was ich dabei leider übersehen habe ist, dass man nicht vor sich selbst davon laufen kann. Du bist wer du bist, und genau diese Person nimmst du mit, wohin immer du auch gehst.
Erkennst du dich da drin ein bisschen wieder?
Wie du schreibst hattest du nicht gerade eine schöne Kindheit, dein Vater hat dich richtig mies behandelt und dir Gewalt angetan. Kein Wunder, dass du mit Männern nun so deine liebe Not hast!
Auf der einen Seite ist dir sicher klar, dass es theoretisch auch liebevolle Männer gibt, auf der anderen Seite fehlt dir das Vertrauen.
Nun, Vertrauen kann man aufbauen und ich denke eine Therapeutin könnte dir da sehr behilflich sein, denn soetwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Auch so Dinge wie eine Essstörung, Selbstverletzung oder gar Selbstmordgedanken (auch wenn sie nicht so ernst gemeint sind) sind in einer Therapie gut aufgehoben – auch weil es verdammt schwierig ist aus solchen Verhaltensweisen ganz alleine wieder rauszukommen.
Erkundige dich also bitte mal, wie du das da wo du jetzt bist umsetzen kannst, Therapeuten gibt es auch in Amerika genug.
Versuche auch, eine Freundin zu finden oder zumindest die eine oder andere Bekanntschaft zu schließen. Das ist natürlich grundsätzlich nicht so leicht, aber meiner Erfahrung nach sind die Amis ja schon sehr gesprächig und ein bisschen Smalltalk ist eigentlich meisten drin.
Vielleicht kannst du auch über Sportgruppen oder bei Fitnesskursen Anschluss finden, oder wenn das nicht so deines ist, vielleicht einen Bastelclub, Kochkurs oder Bücherzirkel für dich finden.
Auch das Internet bietet jede Menge Anschlussmöglichkeiten. Damit meine ich jetzt nicht Tinder und Co, aber schau mal nach Foren zu Themen, die dich interessieren. Auch Computerspiele sind eine gute Möglichkeit um mit anderen in Kontakt zu kommen – solange du dich nicht unbedingt für Solitair entscheidest ;O)
Konzentriere dich nicht so stark auf all deine Probleme und Schwierigkeiten, deine Ängste und Sorgen, sondern schieb sie ein bisschen weiter nach hinten. Lege den Fokus auf alles was schön ist in deinem Leben – auf jede noch so winzige Kleinigkeit!
Das mit den Männern kannst du auch gerne erstmal nach hinten schieben – es ist überhaupt nicht schlimm, dass du noch keinen Freund hattest. Es ist auch gar nicht so ungewöhnlich wie man meint, nur hängt es halt niemand an die große Glocke.
Wenn du deine anderen Probleme in den Griff kriegst, ergibt sich alles andere wahrscheinlich ganz von allein.
Wichtig ist, dass du dich erstmal mit dir selbst beschäftigst.
Dein Vater hat dir nicht nur körperlich weh getan, er hat dich auch zu dem Schluss gebracht, dass du wertlos bist, nicht gut genug und nicht liebenswert.
Ganz viele Leute – auch Menschen, die lange nichts so drastisches wie du erlebt haben – fühlen sich übrigens so. Wertlos, unzulänglich, zu nichts zu gebrauchen. Sie können sich wie du nicht vorstellen, dass irgendjemand Interesse an ihnen haben könnte und glücklichsein oder glücklichwerden scheint ihnen unerreichbar.
Nun, glaube mir, das ist ein Irrtum. Du irrst dich da und all die anderen Menschen die das von sich denken, die irren sich auch.
Und genau das musst du dir immer und wieder selber sagen. Und das meine ich nicht bildlich, sondern ganz real. Stell dich vor den Spiegel, schau dir selber in die Augen und sage dir, dass du liebenswert bist.
Wertvoll. Schlau. Mutig.
Lächle dir selbst zu und sag dir, dass du dir vertrauen kannst.
Und wenn blöde Gedanken auftauchen, wie „Ich bin nicht gut genug, schlau genug, gesellig genug …“ Dann heb den Kopf hoch und sage dir sanft aber bestimmt, dass das eine Lüge ist.
Das alles hilft natürlich nicht von heute auf morgen, aber wenn du konsequent dran bleibst, dann wirkt es irgendwann ein bisschen. Und dann ein bisschen mehr.
Hilfreich ist auf jeden Fall auch sich mit dem Thema Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen, da lernt man solche Dinge nämlich auch. Folge auf Social Media Leuten wie Mel Robbins und Marisa Peer, die erzählen dir all diese Dinge auch immer und immer wieder, und glaube mir, das kann verdammt hilfreich sein.
Zum Thema „Sinn des Lebens“:
Den suchen viele vergebens. Meiner Meinung nach hat das Leben auch nicht von Haus aus einen Sinn. Die einzige Möglichkeit ist es, dem Leben selbst einen Sinn zu geben.
Und sollst du nach Hause fahren?
Ich denke nicht, dass das irgendein Problem löst. Der einzige Grund der mir einfällt wäre der, wenn du es nicht schaffst dir in Amerika einen Therapeuten zu finden, bzw. einen zu bezahlen (ich weiß ja nicht ob und wie du versichert bist, oder wie gut oder schlecht du verdienst)
Ansonsten nimmst du die Probleme einfach nur wieder mit nach Hause. (Jaa, da spreche ich aus Erfahrung …)
Du kriegst das hin, ganz sicher!!! Egal wo!
Ich wünsch dir von ganzem Herzen alles Gute!