Bodyshaming ist mittlerweile einigen Menschen ein Begriff.
Er beschreibt Diskriminierung, Beleidigung, Mobbing oder Demütigung von Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes; insbesondere im Hinblick auf ein Schönheitsideal (Wikipedia)
Eine mildere Form davon geschieht aber tagtäglich, irgendwo, irgendwie. Unbewusst machen Menschen Bemerkungen die unfair sind, die niemandem weiterhelfen. Bemerkungen die dazu beitragen dass Menschen sich schlecht fühlen – zum Teil für Dinge, für die sie gar nichts können.
Letztens bei meinem Hausarzt:
Ich war da zur vierteljährigen Routinetestung wegen meiner Diabetes. Meine Werte waren leicht gestiegen.
Der Doktor hatte eine Medizinstudentin im Schlepptau und war sehr motiviert ihr etwas beizubringen.
Er: „Ihre Werte sind leicht gestiegen. Sie müssen abnehmen.“
Ich: „Ich weiß“
Er: „Wie kann ich Ihnen dabei helfen?“
Ich: „Wenn Sie kein Zaubermittel für mich haben, dann können Sie mir dabei wohl nicht helfen“
Dieses Gespräch haben wir in den letzten 5 Jahren schon mehrmals geführt.
Nun aber deutete er auf die Studentin – eine große und vor allem sehr schlanke junge Frau – und danach auf sich (ein nicht sehr großer Mann in den 50ern und naja sagen wir mal auf keinen Fall dick):
„Wieso haben sie und ich keine Probleme damit?“
Ich weiß, ich weiß. Er hat es gut gemeint.
Aber echt jetzt?
Lassen wir ihn mal außen vor, aber die junge Dame gehörte wohl eher zu den Menschen die aufpassen müssen, dass sie nicht abnehmen. Ich habe eine Freundin von ähnlicher Statur, die auch ganz schnell ins Untergwicht rutscht, wenn sie nicht aufpasst.
Nur wie soll mir diese Frage helfen?
Bodyshaming macht mich nicht schlanker.
Es bringt mich nicht weiter, im Gegenteil, früher hätte mich das total runtergezogen. Denn es impliziert, dass es doch eigentlich ganz einfach ist und mit mir etwas total falsch sein muss, wenn ich das nicht hinkriege. Diesen Frust hätte ich früher vermutlich mit Essen kompensiert.
Und ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal wirklich realisiert – sondern wieder eine (sinnfreie) Diät begonnen, und am Ende hätte ich vermutlich 3 kg mehr als vorher gewogen – hallo Jojoeffekt!
Ja, ich habe Diabetes.
Und ich habe Übergewicht.
Natürlich ist das keine gute Kombination, und natürlich sollte ich abnehmen.
Das Übergewicht schleppe ich schon seit der Volksschule mit mir herum, und ja, die darauffolgenden Jahre habe ich das noch gut ausgebaut. Bodyshaming gab es schon damals, da nannte man es halt noch „hänseln“ oder „sekkieren“
Auch war ich nicht immer eine glückliche Dicke. Also ich meine, ich war nie glücklich und zufrieden mit den überflüssigen Kilos. Mal hab ich versucht das Gewicht zu reduzieren, mal hab ich mich halt damit arrangiert. Und zwei oder drei Mal hab ich auch richtig dolle abgenommen (2x so ca. 20 kg).
Dem gingen meistens einschneidende Ereignisse in meinem Leben vorraus, die den Gewichtsverlust verursacht haben. Dieser war mir immer willkommen, aber ich muss zugeben er war nie das Ergebnis meiner Willenskraft. Beide Male konnte ich das Gewicht sogar jahrelang halten, aber am Ende war ich wieder da wo ich vorher war – oder eher darüber.
Wenn es so einfach wäre, wären alle Menschen schlank und sportlich
Es ist halt nicht so einfach. Denn wenn es so einfach wäre, dann hätten wir keine übergewichtigen Menschen auf dieser Welt.
Wenn es so einfach wäre, dann hätte ich schon seit mindestens 30 Jahren ein gesundes Normalgewicht. Und die meisten anderen auch.
Ich will hier auch gar nicht rumjammern, warum das so ist. Ich muss mich nicht rechtfertigen – weder für mein Gewicht, noch für mein Essverhalten, und schon gar nicht für mein Versagen und mein Scheitern.
Inzwischen ist klar, dass Übergewicht viele Ursachen hat – viele auf die wir früher nie gekommen wären.
Und schon lange – genauer gesagt seit der Diagnose Diabetes – habe ich meine Ernährung umgestellt. Ich habe vieles ausprobiert, mich für einiges begeistert und meist am Ende meine Meinung wieder revidiert. Mehr darüber findest du auf meinem (inzwischen stillgelegten) Blog Diabetes-was-nun.de
Ich esse inzwischen möglichst clean, kleinere Mengen und vor allem mit Bedacht. Zucker ist weitestgehend gestrichen, Kohlenhydrate zumindest reduziert.
Das Übergewicht ist nach wie vor da.
Solche Erlebnisse bei Ärzten sind auch noch da.
Der Begriff Bodyshaming und der Gedanke dahinter etablieren sich nur langsam. Umdenken ist schwer.
Aufgegeben habe ich nicht. Das wird noch. Irgendwie. Irgendwann.